Hendrik Becker: "Setze mich gerne bei minus zehn Grad auf ein Rennrad"

Hendrik Beckers Leben ist der Triathlon, mit 41 ist er als Semi-Profi unterwegs. Ein Gespräch über die Bedeutung von 100 Gesamtsiegen und internationalen Titeln, ein Leben auf zwölf Quadratmetern mit kurzen Nächten und anstrengenden Tagen sowie einen Reinfall mit einem Null-acht-15-Rad.

Hendrik Becker
Hendrik Becker
Es gab Zeiten, da bin ich morgens um vier Uhr aufgestanden, 25 Kilometer zur Arbeit gejoggt, war in der Mittagspause schwimmen und abends noch Radfahren. Es war hart, aber es war mein Leben.
Hendrik Becker

Hendrik, du hast 2020 trotz der Corona-Pandemie sieben Triathlonwettkämpfe absolviert.

Die musste ich mir echt zusammensuchen. Ich habe drei Rennen in Deutschland absolviert, aber auch Wettkämpfe in Tschechien, in der Schweiz und auf Mallorca.

Klingt nach einer Europareise.

Ich bin schon immer gerne zu Wettkämpfen gereist, habe schon Rennen in Südafrika und Australien absolviert. Aber es klingt verrückter, als es ist. Nach Tschechien sind es von meinem damaligen Wohnort Wolfenbüttel drei Stunden mit dem Auto. Da brauche ich nach München oder Düsseldorf länger.

Wie hast du die Rennen herausgesucht?

Das war harte Recherchearbeit. Ich hatte einen Startplatz für den Triathlon in Hannover. Das Rennen wurde kurzfristig abgesagt. Das war natürlich frustrierend. Ich habe dann eine Webseite gefunden, auf der alle Wettkämpfe in Europa aufgeführt sind. Viel stand da nicht drauf. Da habe ich jedoch das Rennen in Mallorca gefunden. Da Mallorca als corona-sicheres Gebiet gilt, ich auf der Insel mal ein halbes Jahr als Fahrradguide gearbeitet habe und dort ein guter Freund von mir wohnt, habe ich einen Flug gebucht.  Nach all den vielen Trainingsstunden und Opferungen, wollte ich nicht aufgeben. Wie für viele von uns war es auch für mich mental schwierig mit den zahlreichen Rennausfällen klarzukommen, daher brauchte ich den Wettkampf einfach für den Kopf.

Es verlief sehr abenteuerlich.

Ich habe aus Budgetgründen mein Rad nicht mitgenommen. Ich dachte, du bekommst dort schon ein gutes Mountainbike. Ich habe dann mit einem Radverleiher gesprochen, der auch meinte, er hätte ein gutes Rad für mich. Es hat sich dann leider herausgestellt, dass es ein Null-acht-15-Rad mit einer kaputten Schaltung war. Als ich als Zweiter aus dem Wasser kam, dachte ich noch, ich kann hier gewinnen. Aber auf dem Rad bin ich dann durchgereicht worden.

Du hast lange davon geträumt, Profi zu werden.

Ich habe im Studium in einer Zwölf-Quadratmeter-Wohnung gelebt, hatte einen 400-Euro-Job an der Tankstelle und habe trainiert wie ein Ochse. Ich hatte nie ein Problem, mich bei minus zehn Grad Celsius auf ein Rennrad zu setzen. Ich kann mich sehr gut quälen. Ich bringe genetisch leider nicht so viel Talent für den Sport mit, aber mit Fleiß und Willensstärke habe ich mir die Leistung erarbeitet.

Nach dem Studium habe ich dann eine Ausbildung zum Bademeister begonnen. Das hat mir ein Trainingskollege empfohlen. Er meinte, als Bademeister hast du viel Zeit, um nebenbei zu schwimmen. Es gab Zeiten, da bin ich morgens um vier Uhr aufgestanden, 25 Kilometer zur Arbeit gejoggt, war in der Mittagspause schwimmen und abends noch Radfahren. Es war hart, aber es war mein Leben. Irgendwann habe ich gemerkt, es reicht nicht, um Profi zu werden, aber ich kann zumindest als Semi-Profi von meinem Halbtagsjob als Bademeister und ein paar Sponsorengeldern leben.

Nun lebst du in Spanien.

Als Bademeister hatte ich stets super Trainingsbedingungen, dank eines Generalschlüssels konnte ich auch sonntags früh um 5 Uhr in einem leeren Schwimmbad meine Bahnen ziehen. Als die Pandemie begann, war ich drei Wochen „auf dem Trockenen“, da mein Arbeitgeber das Wasser aus den Schwimmbecken abgelassen hatte, um Renovierungsarbeiten vorzuziehen. Dann ist unglücklicherweise mein Vertrag ausgelaufen und durfte wegen der Coronakrise nicht verlängert werden. Nun bin ich mit meiner Freundin zurück in ihre Heimat nach Spanien (in die Gegend von Pamplona, Anm. d. Red.) gezogen.

Dein Ziel sind 100 Gesamtsiege bei Triathlonwettkämpfen.

Ich habe vor ein paar Monaten nachgezählt. Ich habe bislang 93 Gesamtsiege erzielt. Jetzt würde ich die 100 gerne vollmachen. Die Corona-Pandemie ist da natürlich suboptimal, weil es weniger Rennen gibt und ich älter werde. Mit zunehmendem Alter (Hendrik ist 41, Anm. d. Red.) wird es immer schwieriger, sich gegen 20-Jährige durchzusetzen.

Fällt es dir schwer loszulassen?

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde: nein. Triathlon gibt mir Halt im Leben, ist mein Lebensstil. Ich trainiere derzeit zielorientiert vier bis fünf Stunden am Tag. Die Vorstellung, irgendwann mal nur noch vier bis fünf Stunden die Woche „just-for-fun“ zu trainieren, fällt mir schwer. Was mich aber ebenfalls enorm motiviert ist mein Wissen weiterzugeben. Bereits seit einigen Jahren schreibe ich für andere Athleten Trainingspläne, was mir sehr viel Freude bereitet. Es ist schön Menschen dabei zu unterstützen ihre Ziele zu verwirklichen. Mein Plan sieht vor die Coaching-Aktivitäten nach und nach zu intensivieren.

Seit ein paar Jahren startest du auch regelmäßig für die deutsche Altersklassen-Nationalmannschaft. Neben zwei dritten Plätzen bei der WM hast du 2019 in Weert den Europameistertitel gewonnen.

Das war eine schöne Sache und hat mir viel bedeutet. Ein weiteres großes Ziel neben den 100 Gesamtsiegen ist es, einmal Weltmeister in meiner Altersklasse zu werden. Ich habe den Titel zweimal knapp verpasst. Das Ziel treibt mich an. Dann wäre ich Deutscher Meister, Europameister und Weltmeister. Das klingt gut.

Du hast auch eine tolle, spannende oder witzige Geschichte zu erzählen, wie du zum Triathlon gekommen bist? Oder Verletzungen/Krankheiten oder besondere Momente/Ereignisse haben dich erst recht angespornt, (weiter) aktiv zu sein? Dann schreibe uns eine E-Mail an medien@dtu-info.de. Und vielleicht erscheint hier bald deine Geschichte.