„Er hatte die Kreditkarte dann natürlich doch dabei“
Ich habe sehr wenig Zeit fürs Training, muss mich da total anpassen. Eigentlich kann ich nur trainieren, wenn die zwei älteren Jungs in der Schule sind und der Kleine schläft.
Stephanie, in München bist Du bei Deinem ersten internationalen Start Europameisterin deiner Altersklasse geworden. Kam der Erfolg für Dich überraschend?
Total überraschend. Ich hatte keine Erwartungen, keinen Vergleich und keine großen Ziele, dachte, eine Platzierung in den Top Ten wäre super. Es lief dann richtig gut. Ich konnte auf dem Rad eine Aufholjagd starten und beim Laufen nochmals zwei Athletinnen aus meiner Altersklasse überholen. Im Ziel habe ich erstmal nicht glauben können, dass ich gewonnen habe.
Nach der Siegerehrung habe ich mich dann mit der Zweiten und Dritten meiner Altersklasse sowie den Medaillengewinnerinnen der jüngeren Altersklasse unterhalten. Sie haben davon erzählt, dass sie in Ersten Ligen starten und mich gefragt, in welchem Land ich denn in der 1. Liga starte. Als ich geantwortet habe, dass ich in gar keiner Liga starte, Triathlon als reines Hobby mache, waren sie schon ein bisschen baff. Sie wirkten alle so professionell im Vergleich zu mir (Stephanie hatte rund ein Jahr vor den Titelkämpfen ihr drittes Kind bekommen und war in den eineinhalb Jahren vor München aus Zeitgründen kaum Schwimmen, Anm. d. Red.).
Welche Bedeutung hat der Titel für Dich?
Ich glaube, er hat für Menschen in meinem Umfeld eine größere Bedeutung als für mich selbst. Mich haben so viele Leute auf den Erfolg angesprochen und mir erzählt, was für ein toller Erfolg mir gelungen sei. Ich habe dann stets geantwortet: Ja, ich bin Europameisterin. Aber Europameisterin in meiner Altersklasse. Es ist es ein toller Titel, und ich freue mich darüber. Aber für mich war es eigentlich ein normaler Wettkampf.
Kurz darauf hast Du auch Deine Altersklasse beim Ironman 70.3 in Zell am See gewonnen und Dich dadurch für die Ironman-70.3-WM im finnischen Lahti im kommenden Jahr qualifiziert.
Ich wollte eigentlich schon vor zwei Jahren in Zell am See starten. Dann ist das Rennen 2020 coronabedingt ausgefallen. 2021 war ich das dritte Mal schwanger. Für mich war damit eigentlich klar, mein Startplatz verfällt. Nachdem die EM so gut gelaufen ist, haben viele Leute gesagt, ich solle den Startplatz doch noch wahrnehmen. Ich habe mich dann quasi überreden lassen und bin ohne mitteldistanzspezifisches Training nach Zell am See gefahren. Völlig überraschend habe ich das Rennen in meiner Altersklasse mit 16 Minuten Vorsprung gewonnen.
Dein Mann hat vorher angeblich gesagt: „Die Kreditkarte lassen wir zu Hause.“ Sprich, es würde nichts aus dem Slot für Lahti werden, falls Du ihn gewinnen solltest.
Er hatte die Kreditkarte dann natürlich doch dabei. Nachdem ich solch einen großen Vorsprung hatte, hat er gesagt: das machen wir jetzt.
Neben der Ironman 70.3-WM wartet im kommenden Jahr mit der Altersklassen-Weltmeisterschaft in Hamburg ein weiteres Highlight auf Dich.
Ich will 2023 noch einmal wissen, was möglich ist und richtig Gas geben. In Hamburg ist das Podium das Minimalziel, der Titel wäre toll.
Ich habe in Zell am See auf dem Anstieg auf der Radstrecke nur 50 Sekunden auf Emma Pallant-Browne (die das Rennen bei den Profi-Frauen gewann, Anm. d. Red.) verloren. Das zeigt mir: Ich war dieses Jahr schon sehr gut. Und 2023 will ich noch besser werden.
Stephanie Wunderle begann Anfang der zwölften Klasse mit Schwimmtraining, um sich auf das Sport-Abitur vorzubereiten. Das Training bereitete ihr so viel Spaß, dass sie auch nach dem Abitur weitermachte. Bald darauf kaufte sie sich ein erstes Rennrad und startete bei ersten Triathlonwettbewerben. Bei regionalen Rennen war Wunderle in ihrer Altersklasse stets vorne mit dabei - bis sie 2011 heiratete und im Jahr darauf ihr erstes Kind bekam.
Du bist nach 2011 acht Jahre lang kein Rennrad gefahren.
Ich habe erst einmal nur Laufwettkämpfe bestritten und 2016 dann meinen zweiten Sohn bekommen. Die Laufwettkämpfe haben mir sehr viel Spaß gemacht, und ich habe mich immer weiter gesteigert, bin den Halbmarathon 2019 in 1:26 Stunden und dieses Jahr in 1:24 Stunden gelaufen. Nach diesem Wettkampf war plötzlich der Reiz für Triathlon wieder da.
Es folgte 2021 Dein drittes Kind. Fällt es Dir eigentlich schwer, Familie und Sport zu verbinden?
Ich habe sehr wenig Zeit fürs Training, muss mich da total anpassen. Eigentlich kann ich nur trainieren, wenn die zwei älteren Jungs in der Schule sind und der Kleine schläft. Dann habe ich ein Zeitfenster von einer Stunde, manchmal eineinhalb Stunden. Das heißt, ich muss immer Vollgas geben. Eine Stunde locker joggen gibt es da nicht.
An den Tagen, an denen ich nicht arbeite (Stephanie arbeitet zwei Vormittage als Lehrerin, Anm. d. Red.), gehe ich morgens mit dem Kinderwagen joggen. Zudem fahre ich nachmittags auf der Rolle. 45 bis 90 Minuten – je nachdem, wie lange mein Sohn schläft. Radausfahrten sind nur möglich, wenn meine Eltern aufpassen.
Nervt das?
Nein. Sport ist für mich ein Hobby. Ich liebe Kinder, wollte immer eine Familie. Daher ist es klar, dass der Sport zurückstecken muss. Aber klar: Es ist nicht immer einfach zu wissen, alle anderen können in Trainingslager fahren, Schwimmen, wann sie wollen und wenn das Wetter schön ist, draußen Radfahren gehen. Ohne die Unterstützung meines Mannes und meiner Eltern wäre das so überhaupt nicht möglich.
Warum bist Du trotz dieser nicht unbedingt als optimal zu bezeichnenden Trainingsbedingungen so erfolgreich?
Das frage ich mich auch (lacht). Viele meiner Konkurrentinnen haben einen Full-Time-Job. Sie haben auch nicht viel mehr Zeit zum Trainieren, außer vielleicht am Wochenende. Ich bin sehr ehrgeizig, kann sehr hart trainieren, gerade auch alleine. Das können nicht viele. Und mein Mann sagt, ich sei ein Wettkampf-Tier. Damit hat er wohl Recht. Wenn ich an der Startlinie stehe, macht es klick und ich bin voll da.
Trotzdem hättest Du im vergangenen Jahrzehnt wohl deutlich mehr erreichen können. Trauerst Du diesen Möglichkeiten nach?
Nein. Ich habe drei tolle Kinder bekommen und trotzdem über Jahre Wettkampfsport betrieben. Zwischen den Kindern habe ich so viele Laufwettkämpfe bestritten, habe mich von Jahr zu Jahr gesteigert, bin über die Jahre immer schneller geworden. Mir hat in dieser Phase einfach die Zeit gefehlt, für drei Disziplinen zu trainieren.
Klar hätte ich in den Jahren, in denen ich keinen Triathlon gemacht habe, tolle Erfolge erzielen können. Aber alles kommt zu seiner Zeit. Es ist auch schön, immer wieder von vorne anzufangen, weil die Fortschritte – vor allem am Anfang – so groß sind.
Und internationale Wettkämpfe sind eine große Herausforderung mit weiter Anfahrt, Übernachtung und gegebenenfalls Flug. Die Familie muss so schon viele Opfer bringen, damit ich den Sport wettkampfmäßig ausüben kann.
Welche Tipps hast Du für Frauen in einer ähnlichen Situation?
Sport ist mit Kindern gut möglich. Ich finde es schade, wenn Frauen deswegen aufhören und sich gehen lassen. Natürlich benötigt man Unterstützung, vor allem für die Wettkämpfe. Und man muss diszipliniert sein und dann, wenn man Zeit hat, sich auch aufraffen.
Wir haben nicht die einfachsten Kinder, sie haben alle in jungen Jahren nachts nicht gut geschlafen. Aber ich schaffe es trotzdem, meinen Sport zu machen – weil ich es will und weil es meine große Leidenschaft ist.
Du hast auch eine tolle, spannende oder witzige Geschichte zu erzählen, wie du zum Triathlon gekommen bist? Oder Verletzungen/Krankheiten oder besondere Momente/Ereignisse haben dich erst recht angespornt, (weiter) aktiv zu sein? Dann schreibe uns eine E-Mail an medien@dtu-info.de. Und vielleicht erscheint hier bald deine Geschichte.