"Muss man sich vorstellen, als hätte man jeweils eine Klopapierrolle vor dem Auge"

Anja Renner hat gute Chancen, sich für die Paralympics 2024 in Paris zu qualifizieren. Wir haben mit der 37-Jährigen, die an einer unheilbaren Augenerkrankung leidet, geklärt, was gedrückte Stimmung mit ihrem Einstieg in den Para Triathlon zu tun hat und über Medaillenträume in der französischen Hauptstadt gesprochen.

Anja Renner und ihr Guide jubeln im Ziel

Anja, es heißt, dass ein Gespräch mit deinem Mann den Ausschlag gegeben hat, sich nach vier Jahren ohne Wettkämpfe das Ziel Paralympics zu setzen.

Einmal im Jahr bin ich zur Kontrolluntersuchung in einer Klinik für Augenheilkunde in Basel. Das ist für mich immer ein schwieriger Termin, weil die Ergebnisse mich daran erinnern, dass die Erkrankung nicht therapierbar ist und die Sehkraft immer weiter abnimmt.

Auf der Rückfahrt im vergangenen Februar war ich etwas niedergeschlagen. Da hat mein Mann zu mir gesagt: Du brauchst ein neues Ziel im Leben: entweder du engagierst dich in der Forschung für diese Krankheit oder du setzt dir ein sportliches Ziel: die Paralympics 2024 in Paris.

Es sind die Paralympics geworden.

Ich habe mich für den Sport entschieden, weil Triathlon meine Leidenschaft ist und weil ich in der Forschung auch in ein paar Jahren noch arbeiten kann. Also zu einem Zeitpunkt, wenn ich für sportliche Höchstleistungen vermutlich zu alt bin.

Ein knappes halbes Jahr nach dieser Entscheidung hast du mit deinem Guide Maria Paulig den Para Weltcup in Paris gewonnen. Hättest du gedacht, dass es so schnell nach oben geht?

In dem Moment hat mich der Sieg nicht überrascht, da er sich in den Wettbewerben zuvor schon angedeutet hat. Aber im vergangenen Februar hätte ich nie damit gerechnet, dass ich mal ein Weltcup-Rennen gewinne.

Deine Ziele haben sich also verändert?

Ich hatte von Beginn an das Ziel, an den Paralympischen Spielen 2024 in Paris teilzunehmen. Allerdings hat sich das Platzierungsziel geändert. Anfangs ging es mir ausschließlich darum, dabei zu sein. Jetzt weiß ich, dass eine Medaille durchaus realistisch ist.

Hat das etwas mit dir gemacht?

Gute Frage (überlegt kurz). Ich habe gemerkt, dass ich selbstsicherer und motivierter durchs Leben gehe, wenn ich Ziele habe. Und zu versuchen, diese Ziele zu erreichen, führt zu mehr Fokussiertheit und Zufriedenheit.

Hast du Ziele über Paris hinaus?

Ja, Los Angeles 2028 gibt es ja auch noch. Wenn es mein Körper zulässt, würde ich dort auch gerne starten. Triathlon macht gerade so viel Spaß.

Du bist bereits von 2016 bis 2019 als Altersklassen-Triathletin gestartet, bevor aufgrund von Verletzungen und der fortschreitenden Augenerkrankung die vierjährige Wettkampfpause folgte. Ärgerst du dich manchmal, dass dir der Übergang zum Para Triathlon nicht früher gelungen ist?

Manchmal frage ich mich schon, was dann möglich gewesen wäre. Für mich war der Weg in den Para Triathlon ein längerer Prozess, ein Zusammensetzen von vielen Puzzleteilen. Ich hatte keinerlei Berührungspunkte mit dem Para Sport und konnte mich anfänglich auch nicht damit identifizieren. 

Ich hatte seit 2019 keine Wettkämpfe mehr gemacht. Damals wollte ich mich als Altersklassen-Athletin für die Ironman-WM auf Hawaii qualifizieren, habe dann aber gemerkt, dass ich dieses Ziel aufgrund von vielen Verletzungen und meiner fortschreitenden Augenerkrankung nicht erreichen werde. Die Leidenschaft für den Sport war weiterhin da, und ich habe trotzdem täglich trainiert. 

Ich hatte dann aber zwei Unfälle und war erstmal damit beschäftigt, schrittweise wieder in den Sport zurückzukehren. Zudem habe ich in dieser Phase meinen Job in der Krebsforschung gekündigt, es war also viel Umbruch in meinem Leben.

In der Zeit habe ich auch angefangen, Biografien über erfolgreiche blinde Athletinnen und Athleten zu lesen, und ich habe mir Dokumentationen über die Paralympics angesehen. Das entscheidende letzte Puzzleteil, das mich dann endgültig zum Para Triathlon bewegte, war aber das Gespräch mit meinem Mann.

Daher ärgere ich mich nicht, dass es seine Zeit gebraucht hat, den Weg zum Para Sport zu finden, aber es wäre natürlich schön gewesen, früher mit dem Para Triathlon zu starten.

Du bist an einer unheilbaren Augenerkrankung erkrankt, die sukzessive zur Erblindung führt. Was bedeutet das für deine Sehfähigkeit?

Als gesunder Mensch kann man sich das wie einen zunehmenden Tunnelblick vorstellen. So, als hätte man jeweils eine Klopapierrolle vor dem Auge, durch die man hindurchschaut und deren  Durchmesser immer kleiner wird.

Mein Sichtfeld ist also sehr eingeschränkt, es beschränkt sich auf die Mitte - und auch da sehe ich nicht alles scharf und in Farbe. 

Inwieweit schränkt dich die Erkrankung ein?

An Orten, an denen ich mich auskenne, etwa zu Hause, gar nicht so sehr. Beim Sport ist vor allem das Radfahren das Problem. Dafür brauche ich einen Guide. Schwimmen und Laufen sind einfacher umzusetzen. Ich kann auf mir bekannten Strecken, außerhalb von Städten, noch ganz  gut alleine laufen.

Anstrengend sind für mich Menschenansammlungen. Die versuche ich zu meiden - oder ich nehme jemanden mit, der mich führt.