„Hatte blutige Hände nach dem ersten Rennen“
Ich habe als Sportler gelernt, wenn ich vor einer problematischen Situation stehe, die Herausforderung als Ganzes zu betrachten und den Glauben zu haben, dass es sich lösen lässt.
Wie war die Rückkehr nach Funchal (Portugal), ein Jahr nachdem du dort deine Premiere im Para-Triathlon gegeben hast?
Es ist witzig und doch emotional, an das erste Rennen zurückzudenken. Ich bin damals beispielsweise ohne Handschuhe im Rennrollstuhl gestartet, habe ihn erst ein paar Tage zuvor das erste Mal ausprobiert. Ich hatte blutige Hände nach dem Rennen. Aber das war dann halt so. Seitdem ist viel passiert und ich habe unheimlich viel gelernt, wie es im Para Triathlon so abgeht.
Wie hast du dein erstes Jahr erlebt?
Das Jahr hatte viele gute und auch einige weniger gute Seiten. Aber Rückschläge gehören dazu, wenn man noch im Lernprozess ist. Mein erstes Jahr hat gut angefangen und gut geendet. Anfang des Sommers hatte ich allerdings mit einigen schwierigen Momenten zu kämpfen. Aufgrund der geringen Punkte im World Ranking bin ich nicht auf die Startlisten der großen Rennen gekommen. Da beschleichen einen dann schon Zweifel. Nicht Zweifel an dem Schritt in den Para Triathlon an sich. Aber schon, ob der Zeitpunkt nicht zu spät war, ob ich es noch schaffe. Vor allem im Hinblick auf die Paralympischen Spiele 2020 in Tokio.
Hat dich das Jahr als Sportlerin verändert?
Jedes Jahr schult und verändert einen. Was ich aber auf jeden Fall gelernt habe: noch härter und fokussierter für meine Ziele zu kämpfen. Wenn ich nicht auf die Liste für ein Rennen gekommen bin, hat mich das jedes Mal umgehauen, ich hatte dann immer den Eindruck, alle sind gegen mich. Aber ich musste lernen, das nicht persönlich zu nehmen. Das hat es mir leichter gemacht. Ich rechne jetzt einfach nicht mehr damit, auf der Liste zu stehen und freue mich, wenn es doch so ist.
Bringt einen der Sport also auch als Menschen weiter?
Der Leistungssport bringt die Menschen generell weiter. Jemand, der von klein auf sportlich aktiv ist, lernt, sich zu organisieren, in den richtigen Momenten seine Leistung abzurufen, mit Enttäuschungen klarzukommen. Das bringt die Persönlichkeit enorm weiter. Ich habe oft das Gefühl, dass sich die Menschen über so viele Kleinigkeiten aufregen. Ich habe als Sportler gelernt, wenn ich vor einer problematischen Situation stehe, die Herausforderung als Ganzes zu betrachten und den Glauben zu haben, dass es sich lösen lässt. Ich finde es sehr hilfreich, wenn man die Fähigkeit besitzt, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dann verändert sich meist relativ schnell das Bild und die Lösung wird klar.
Welche deiner Eigenschaften ist durch den Sport am meisten ausgeprägt worden?
Immer wieder aufzustehen und die Dinge positiv zu sehen. Ich habe mich nie darüber beklagt, dass mir wegen eines Tumors mit fünf Jahren ein Bein amputiert worden ist. Ich versuche, immer positiv zu denken und nach vorne zu schauen. Der Sport hat mich gelehrt, immer wieder aufzustehen und meine Ziele fokussiert zu verfolgen.
Du bist immer gut gelaunt. Warum?
Das weiß ich auch nicht (lacht). Es gibt ja eigentlich keinen Grund, schlechte Laune zu haben. Ich finde, ich habe ein schönes Leben und genieße es. Derzeit begleitet mich ein Kamerateam vom NDR, das einmal im Monat einen Beitrag über mich dreht. Da wurde ich schon des Öfteren gefragt, wie es wäre, wenn es mit der Qualifikation für die Paralympischen Spiele nicht klappt. Da habe ich immer geantwortet: Das klappt aber. Ich glaube daran. Warum soll es auch nicht klappen?
Also ein Plädoyer für gute Laune?
Ja, wir sollten alle mehr lachen und anderen Menschen positiv begegnen.
Zurück zum Sport. Hast du mit dieser positiven Entwicklung in einem Jahr gerechnet?
Aufgrund meiner langjährigen Schwimmkarriere wusste ich, dass mir der Wiedereinstieg ins Wasser wenig Probleme bereiten wird. Die Saison im Handbiken hatte ich damals gerade beendet. Dort war ich in den vergangenen Jahren eine der Besten der Welt. Nur das Rennrollstuhlfahren musste ich neu lernen. Ich wusste, dass ich gute Chancen habe. Zwischenzeitlich habe ich allerdings dran gezweifelt. Aber nicht, weil ich es nicht konnte, sondern weil ich nicht durfte, nicht in die Rennen reinkam. Es ist schwierig, wenn man den Mädels beim Rennen zuschauen muss und weiß, dass man hätte gut mitfahren können.
Mit dem Sieg bei den Europameisterschaften hast du gleich deinen ersten Titel im Para Triathlon gewonnen. Was bedeutet dir dieser?
Ich bin glücklich, den Titel gewonnen zu haben. Im Handbiken war ich etwas begünstigt durch die Klassenregelung, im Para Triathlon ist es schwer für mich aufgrund des Zeitfaktors. Manche Athletinnen dürfen aufgrund ihrer Querschnittlähmung bzw. Behinderung, welche einen Nachteil gegenüber Leuten wie mir darstellt, 4:04 Minuten eher starten. Ich kann zumindest mein Bein beim Schwimmen einsetzten, deshalb bin ich in dieser Disziplin im Vorteil. Aber der Unterschied zwischen den Behinderungen macht keine 4:04 Minuten aus. Das erhöht den EM-Titel sicherlich in seiner Bedeutung. Ich möchte mich aber nicht beschweren, sondern genieße jede Minute im Triathlonsport.
Trotz kleinerer Rückschläge sieht es gut aus im Hinblick auf die Qualifikation für die Paralympischen Spiele.
Ich habe eine sehr gute Ausgangsposition. Das einzige, was ich noch tun kann, ist gesund zu bleiben und bei einem Rennen der World Para-Triathlon Series (WPS) gut abschneiden, um meine Punktzahl zu verbessern. Unabhängig davon will ich 2020 in möglichst allen WPS-Rennen starten. Ich mache den Sport ja auch wegen der Rennen.