Johnny Zipf: Der Kämpfer will nicht mehr kämpfen
Es ist wie bei einem Puzzle, bei dem über die Jahre ein paar Teile verlorengegangen sind. Der Ehrgeiz ist nach Jahren im Leistungssport nicht mehr so groß wie am Anfang. Die Bereitschaft, dem Sport alles unterzuordnen, lässt in dem einen oder anderen Moment nach. Der Wille, alles zu geben, lahmt.
Als es im dritten Männer-Rennen des Wettkampfes der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga in Saarbrücken in die zweite Laufrunde ging, ging Jonathan Zipf an die Spitze. Meter für Meter setzte er sich in den folgenden Minuten von seinen Konkurrenten ab – und lief mit deutlichem Vorsprung als Erster über die Ziellinie. Mit seinem Sieg lieferte er auch einen wichtigen Beitrag zum Mannschaftserfolg des EJOT Team TV Buschhütten. „Es ist toll, das letzte Rennen in der Bundesliga gewonnen zu haben“, sagt der 34-Jährige, der eine Woche später beim Pushing-Limits-Race seinen endgültig letzten Wettkampf als Triathlon-Profi bestritt.
Rückblende: 2019 will Jonathan Zipf noch einmal voll angreifen. Sein Ziel ist der Olympia-Qualifikationswettkampf in Kienbaum im Mai 2020. Dort will er sich ein Tokio-Ticket sichern. Und sich damit seinen großen Traum von den „Spielen“ noch erfüllen. Den Weg dorthin, beziehungsweise die Punktejagd dafür, sollen zwei Weltcup-Rennen im Frühjahr 2019 einleiten – um dort starten zu dürfen, jettet er Ende März extra nach Südafrika, sichert sich mit Rang vier in Durban die Weltcup-Qualifikation.
Doch dann endet der Weltcup in Cagliari (Italien) für ihn auf einem enttäuschenden 47. Rang. Ein herber Rückschlag. Ein Ergebnis, das ihn zum Zweifeln und Nachdenken bringt. Drei Tage vor dem Weltcup in Antwerpen „machte es Klick“, bei einem Dauerlauf. Die Zweifel siegen, Zipf beendet das Projekt Olympia-Qualifikation noch bevor es richtig begonnen hat. „Damit war klar: Es hat sich nicht nur mein Olympia-Traum, sondern auch meine Profi-Karriere erledigt, auch wenn ich noch ein Jahr weitergemacht habe“, sagt Zipf.
"Ich bin keine 26 Jahre mehr und kann sagen, in vier Jahren ist wieder Olympia"
Diesmal wollte Jonathan Zipf, der Kämpfer, der sich schon zweimal nach schweren Verletzungen über Continental-Cup-Rennen wieder nach oben zurückgekämpft hatte, nicht mehr kämpfen. „Ich wusste, dass ich im Idealfall noch mal Top-Ten-Platzierungen in WTS-Rennen erreichen kann. Ich wusste aber auch, dass ich für etwas, was ich schon mal erreicht habe, nicht mehr bereit sein werde, so viel zu investieren.“
Zipf sagt, er habe in den knapp eineinhalb Jahren, die seitdem vergangenen sind, so gut wie gar nicht mit dieser Entscheidung gehadert. „Ich bin keine 26 Jahre mehr und kann sagen, in vier Jahren ist wieder Olympia. Und ich will auch nicht einer der Athleten sein, deren Karriere eigentlich vorbei ist, die irgendwelche schlechtbesetzen Rennen gewinnen und das ihren Sponsoren als Erfolg verkaufen.“
Wenn man mit Jonny Zipf über sein Karriereende und über dessen Zustandekommen spricht, dann ist es auch ein Gespräch über Prozentzahlen. Prozentzahlen, auf die Zipf im Laufe des Gespräches immer wieder zurückkommt. Er sagt dann Sätze wie: „Ich war nicht mehr bereit, mein Leben zu 100 Prozent dem Sport unterzuordnen. Und wenn ich nur noch 95 Prozent gebe, sehe ich keine Alternative zum Aufhören.“ Oder: „Man erreicht das Optimum nur, wenn man immer 100 Prozent gibt.“
Es ist wie bei einem Puzzle, bei dem über die Jahre ein paar Teile verlorengegangen sind. Der Ehrgeiz ist nach Jahren im Leistungssport nicht mehr so groß wie am Anfang. Die Bereitschaft, dem Sport alles unterzuordnen, lässt in dem einen oder anderen Moment nach. Der Wille, alles zu geben, lahmt.
Das etwas andere Abschiedsjahr
Eigentlich sollte 2020 ein schönes Abschiedsjahr für Zipf werden. Ein Abschiedsjahr, das er auch verdient gehabt hätte: Ein paar Starts in der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga, zum Ende der Saison noch zwei Wettkämpfe über die Mitteldistanz. Corona verhinderte diese Abschiedstour. In die Verlängerung wollte Zipf nicht gehen. „Ich habe mein Leben lang Leistungssport betrieben. Mein Ziel war es immer, gegen die Besten der Welt zu starten. Mein Ziel war es nicht, zu irgendeinem mittelklassigen Mitteldistanzrennen nach Asien zu fliegen, nur weil ich weiß, da sind kaum gute Athleten am Start und ich kann eine Podiumsplatzierung erreichen.“
Platzierungen, so sagt Zipf, sind eh nicht das, was hängenbleiben wird nach über zwei Jahrzehnten Leistungssport. Hängenbleiben werden Begegnungen und Freundschaften. „Kontakte sind für mein weiteres Leben viel wichtiger als Erfolge“, sagt er.
„Ausreißer nach oben fehlt“
Aber natürlich werden Leistungssportler an Leistungen gemessen, beziehungsweise vor allem an Erfolgen, guten Platzierungen und Teilnahmen an großen Meisterschaften. Zipf hat einiges davon vorzuweisen. Aber er bleibt auch ein bisschen ein Unvollendeter. Er kann auf keine Olympia-Teilnahme zurückschauen und keine Einzel-WM-Medaille im Elitebereich vorweisen. „Es fehlt das, was besondere Athleten haben. Der Ausreißer nach oben“, sagt er selbstkritisch. National ist ihm das gelungen mit Deutschen Meistertiteln. International, klammert man Rang zwei bei der Junioren-WM 2005 mal aus, eher nicht.
Das hat mit Pech zu tun. Olympia 2012 verpasste er, weil er sich kurz vor dem entscheidenden Qualifikationsrennen einen Muskelfaserriss in der Brust zuzog. Das hat mit falschen Entscheidungen in wichtigen Momenten zu tun. Bei der WM 2011 in Lausanne (Schweiz) „verschenkte“ er Bronze aufgrund von taktischen Fehlern beim abschließenden Lauf. Und das hat vielleicht auch mit Selbstzufriedenheit zu tun, gerade in seinen starken Jahren 2011 und 2012. „Da war ich vielleicht zu früh zufrieden“, sagt Zipf. Erst später lernte er von Dan Lorang, was es wirklich heißt, 100 Prozent zu geben.
Erfahrung an den Nachwuchs weitergeben
Aber auch wenn er keine Olympia-Erinnerungen und keine WM-Medaille hat, nimmt Zipf aus seiner Karriere zwei Dinge mit, die für sein restliches Leben vielleicht viel mehr Wert sind als verblassende Erinnerungen an Erfolge: Kampfgeist und Durchhaltewillen. Zwei Werte, die ihn in seiner Karriere ausgezeichnet haben. Zum Beispiel, als er sich mit Rang sechs beim Abschlusswettkampf der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga 2018 auf Rügen die Gesamt-Einzelwertung sichert. An einem schlechten Tag, an dem er viel kämpfen, leiden, sich durchbeißen musste, aber nicht aufgab.
Und dieses Werte, Durchhaltevermögen und Kampfgeist, die will er nun an die nächsten Triathlon-Generationen weitergeben. Schon seit Anfang September arbeitet Zipf als Trainer am Stützpunkt in Nürnberg. Es gab Zeiten, da hat Zipf damit geliebäugelt, nach seiner Karriere etwas ganz anderes zu machen, die Blase Triathlonsport zu verlassen. Aber in den vergangenen Jahren hat er gemerkt, dass er mit jungen Athleten gut kann, dass der Trainerjob „die perfekte Arbeit“ für ihn ist.
Im Rennen der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga in Saarbrücken Mitte September belegte Zipf, der nun auch Sportlicher Leiter des Buschüttener Bundesliga-Männerteams wird, Gesamt-Rang sieben. Somit konnte er einige der jungen Athleten, die er nun trainiert und die schon seit Jahren von seinen Tipps und Geschichten profitieren, noch einmal hinter sich lassen – und sich somit auch den würdigen Abgang aus der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga und der großen Triathlonbühne verschaffen, den er verdient hat.
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