"Nicht immer einfach, jemanden für einen blöden Fehler zu bestrafen"
Wenn ich etwas mache, dann mache ich es mit Herz und Seele, dann brenne ich dafür
Julia, kannst du dich noch an deinen ersten Einsatz als Kampfrichterin erinnern?
Es war ein kleiner Wettkampf in der Region Stuttgart, ein klassischer erster Einsatz mit Aufgaben in der Wechselzone. Das ist sicherlich nicht gleich das Spannendste. Aber es war genau richtig, um reinzukommen und um die erste Nervosität abzulegen. Und ich habe schon da direkt gemerkt, dass man mit kleinen Gesten viel erreichen kann, indem man Sportler*innen zum Beispiel nach dem Check-In auch mal ein paar nette Worte mit auf den Weg gibt. Denn schließlich geht es nicht nur um Kontrolle und Einhaltung des Regelwerks, sondern auch um ein Miteinander im Sinne einer für alle faire und erfolgreiche Veranstaltung.
Das Kampfrichterwesen ist für dich schnell zu einer Herzensangelegenheit geworden.
Das Miteinander der Kampfrichter*innen ist toll. Ich erlebe meine Einsätze immer als schöne Tage mit ganz wunderbaren und auch ganz unterschiedlichen Menschen, die als Team funktionieren und sich ergänzen. Natürlich kommt es auch ab und zu mal zu Ereignissen oder Entscheidungen, die knifflig oder nicht so schön für die Athlet*innen sein können – aber auch dies gehört dazu. Aber am Ende des Tages bin ich immer happy, weil es mir so viel zurückgibt. Auch wenn ein Tag mal sehr lang oder doch auch stressig sein kann.
Was fasziniert dich so sehr?
Es ist natürlich toll, bei einem großen Wettkampf morgens früh am See zu sein, wenn die Sportler*innen noch nicht da sind oder wenn bei großen Events alle Kampfrichter*innen, die auf der Radstrecke eingesetzt sind, gemeinsam auf den Motorrädern starten. Die besondere Atmosphäre oder Ruhe vor dem Sturm ist schon sehr besonders. Aber es sind auch die kleinen Dinge. Wenn bei einem Jedermannrennen Anfänger vor dem Einchecken in die Wechselzone noch schnell einen Plüsch-Glücksbringer am Rad anbringen und dann hoffen, dass er dran bleiben darf, sind das auch Momente, die unseren Sport besonders machen. Und die Vielfalt, nicht nur der Distanzen, sondern auch der Menschen, die mit ganz unterschiedlichen Zielen oder Motiven an den Start gehen. Ich muss sagen: ich vermisse die Einsätze in der aktuellen Zeit doch sehr.
Darf ein Plüsch-Glücksbringer bei der Kampfrichterin Julia Heckmann am Rad bleiben?
Man muss in solchen Situationen Fingerspitzengefühl beweisen. Wenn man das Gefühl hat, es hilft dem*r Athlet*in, wäre es falsch zu sagen, ein Glücksbringer ist eine ungenehmigte, außergewöhnliche Ausrüstung. Ich finde, da muss übertriebene Härte bei Rookies im Jedermannbereich nicht sein. Wichtig ist, dass weder der*die Athlet*in, noch andere gefährdet werden, und sich keiner einen Vorteil verschafft.
Apropos Härte. Fällt es dir eigentlich schwer, jemanden im Wettkampf zu bestrafen?
„Bestrafen“ ist vielleicht nicht ganz treffend – wir verwarnen und sanktionieren Regelverstöße. Dies ist nicht immer einfach. Es tut mir auch mal leid, wenn ich jemanden für einen blöden, nicht absichtlichen Fehler bestrafen muss. Leichter fällt es, wenn jemand zum Beispiel mit einem nicht-verkehrstüchtigen Fahrrad oder defekten Helm einchecken will – das ist offensichtlich. Oder wenn ich merke, dass sich jemand nicht mit dem geltenden Regelwerk befasst hat. Oder sich dreist im Windschatten seines Vordermanns aufhält und sich seines Verhaltens nicht bewusst ist. Da denke ich mir: Leute, lest das Regelwerk vor dem Wettkampf. Wichtig finde ich, wie schon erwähnt, Fingerspitzengefühl zu zeigen und auch ein Rennen zu lesen bzw. eine Situation richtig einzuschätzen. Littering zum Beispiel muss bestraft werden. Fällt einem*r Athlet*in jedoch aus Versehen ein Stück der Verpackung herunter, und er oder sie hebt es von sich aus direkt auf, verhält es sich mitunter anders.
Da bekommt man dann sicherlich auch mal einen blöden Spruch zu hören.
Klar, die Athlet*innen sind ja auch angespannt und im Rennmodus. Es ist auch nicht immer einfach, wenn vor einem als relativ kleine Person ein 1,90-Meter-Schrank steht. Zum einen gibt einem das Kampfrichter-Outfit eine gewisse Sicherheit, Legitimation oder Autorität, zum anderen lässt sich mit Empathie, Souveränität und Selbstvertrauen vieles ausgleichen. Das sind alles Eigenschaften, die man durch die Tätigkeit als Kampfrichter*in auch lernt oder stärkt. Das kann ich auch Frauen mit auf den Weg geben.
Frauen haben mehr Respekt vor der Tätigkeit als Kampfrichterin.
Natürlich fragen sich viele Frauen vorher, „Kann ich das?“ Frauen hinterfragen sich da häufig mehr als Männer. Die Angst, womöglich falsche Entscheidungen zu treffen, spielt eine große Rolle. Es wird jedoch keine Kampfrichterin, und natürlich auch kein Kampfrichter, sofort ins kalte Wasser geworfen. Jeder hat etwas Zeit, in die Aufgabe reinzuwachsen. Und mit jedem Einsatz steigt die Sicherheit. In den knapp sechs Jahren, in denen ich dabei bin, habe ich mich gefreut, zu beobachten, wie innerhalb kurzer Zeit Unsicherheit mehr durch eine Routine und Souveränität ersetzt wird – und Kampfrichter-Kolleginnen an ihrer Aufgabe wachsen.
Es ist wichtig, bei den Kampfrichter*innen eine gute Mischung aus Männern und Frauen zu haben. Viele haben bei einer*m Kampfrichter*in leider das Bild von einem alten, griesgrämig dreinschauenden Mann vor Augen. Das ist längst nicht mehr so. Aber wir wünschen uns in den Landesverbänden, und auf nationaler Ebene, auf jeden Fall noch mehr Frauen. Frauen bringen einen anderen Blickwinkel und andere Fähigkeiten mit, sind in der Regel empathischer und haben oftmals auch einen anderen Zugang zu Kindern und Jugendlichen. Vielleicht liegt es auch bereits am Begriff – „Kampfrichter“ klingt extrem hat für mein Gefühl. Das englische „Race Official“ ist hier deutlich neutraler.
Du bist 2015 Kampfrichterin geworden. Zu einem Zeitpunkt, als du gerade einmal ein halbes Jahr Triathletin warst. Du bist jemand, der etwas, wenn er es macht, gleich richtig anpackt, oder?
Wenn ich etwas mache, dann mache ich es mit Herz und Seele, dann brenne ich dafür. Ich bin ein großer Fan des Ehrenamtes – schon von klein auf über die Verbindung von Sport und Vereinsleben in der Jugendarbeit, in Vorständen etc. Mit 17 Jahren habe ich in einem Tanzverein eine Cheerleading-Abteilung ins Leben gerufen. Die habe ich 13 Jahre ehrenamtlich geleitet. Ich halte so etwas für eine wichtige Sache, finde, eine ehrenamtliche Tätigkeit gibt einem und dem Sport, den man liebt, so viel zurück. Leider ist so etwas keine Selbstverständlichkeit. Man sollte es nicht nur für Geld tun, sondern um etwas zurückzugeben, für etwas, das man liebt.
Hat das Ehrenamt einen zu schlechten Ruf?
Ja. Viele fragen sehr schnell oder zuerst, was sie für diese Tätigkeit bekommen. Es fehlt ein bisschen an der Selbstverständlichkeit. Dabei kann auch ein Empfehlungsschreiben des Vereins oder Bestätigung eines Verbands für den Lebenslauf viel wert sein. Ähnlich wie „Kampfrichter“ klingt aber auch „Ehrenamt“ nicht besonders attraktiv – das englische „Volunteering“ ist hier neutraler aus meiner Sicht.
Ist das Ehrenamt nicht mehr sexy genug für junge Leute?
Jein. Es fehlt sicherlich ein bisschen die Wertschätzung, zum Beispiel in Form eines Belohnungssystems. So etwas tut gut. Ich glaube hingegen nicht, dass ein Bewertungssystem nötig ist – es geht nicht um den Wettbewerb untereinander, sondern darum, was man als Team von Kampfrichtern gemeinsam auf die Beine stellen kann Es gilt vielleicht vielmehr Einblicke zu ermöglichen, was alles mit der Aufgabe verbunden ist oder ggf. auch Möglichkeiten in diese „reinzuschnuppern“ und so die Hürden zu senken.
Zudem ist es wichtig zu wissen, dass der Zeitaufwand natürlich variabel ist, sodass es sich gut mit anderen Dingen vereinbaren lässt – und dass man, wenn man möchte und einen guten Job macht, auch im Kampfrichterwesen in unterschiedliche Level aufsteigen kann.