"Beim Radtraining bin ich mal beinahe festgenommen worden"
Ich habe so viele tolle Leute kennengelernt, das bedeutet mir unheimlich viel. Da sind viele Momente dabei, die ich nicht mehr vergessen werde.
Anja, wie fühlt es sich an, keine Leistungssportlerin mehr zu sein, sondern „normal“ zu arbeiten?
Nach dem ersten Tag im Büro (Anja arbeitet bei Bosch, Anm. d. Red.) habe ich gesagt, ich mache wieder Sport (lacht). Im Ernst: Ich habe mich recht schnell an die Abläufe des Büroalltags gewöhnt und auch an die festen Arbeitszeiten. Hin und wieder fühlt es sich aber noch komisch an.
Vermisst du den (Leistungs)sport?
Gestern (einen Tag vor dem Interview am Donnerstag vergangener Woche, Anm. d. Red.) habe ich mit Anne (Haug, Anm. d. Red.) getextet. Wenn man dann über die früheren Zeiten spricht, wird man schon etwas sentimental. Und Caro Pohle hat mir diese Woche geschrieben, ich solle doch mit ins Trainingslager kommen. Es war schon schön. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen beziehungsweise schon lange angekündigt, dass ich aufhören werde. Und ich bereue diese Entscheidung nicht. Und der Sport gehört ja weiter zu meinem Alltag.
Als ehemalige Leistungssportlerin solltest du sowieso nicht von einem auf den anderen Tag ganz mit Sport aufhören.
Klar, das Abtrainieren gehört dazu. Ich mache aber vor allem Sport, weil ich Lust darauf habe. Ich genieße es, ohne Struktur zu trainieren, mache sogar weiterhin Athletik.
„Freiwillig“ Athletik?
Ohne regelmäßiges Stabilisationstraining fühlt es sich beim Laufen an, als sei man der Elefant im Porzellanladen (lacht).
Lässt du die Uhr beim Training nun beiseite?
Das würde ich gerne. Aber die Uhr ist mein ständiger Begleiter im Training (lacht). Wie auch mein Pulsmesser. Ich sollte sie ablegen, aber das ist nicht so einfach. Aber ich merke trotzdem, dass alles viel lockerer ist, ohne Zwang, ohne Verpflichtungen. Ich kann das Leben mehr genießen. Vor kurzem war ich ein Wochenende bei Julia (Seibt, Trainerin am Schluss ihrer Karriere, Anm d. Red.) und Dan (Lorang, ihrem früheren Coach, Anm. d. Red.). Wir waren gemeinsam wandern. Das hätte ich früher höchstens in der Off-Season gemacht.
Also kannst du den Sport mehr genießen?
Eigentlich schon. Aber es ist schon auch sehr deprimierend, wie schnell der Körper leistungsmäßig abbaut.
Wie oft bist du in den vergangenen Wochen gefragt worden, wie gut dir der Übergang ins „normale“ Leben gelungen ist?
Das werde ich hin und wieder mal gefragt. Die Leute wollen wissen, wie es mir geht und wie die Entscheidung zustande gekommen ist.
Nerven diese Fragen?
Ich finde es nicht schlimm, wenn ich diese Fragen gestellt bekomme. Es zeigt schließlich, dass die Leute Interesse an mir als Person haben. Die einzige Frage, die vielleicht ein bisschen nervt, ist die, ob ich nun keine Wettkämpfe mehr mache.
Tja, dann müssen wir diese Frage wohl auch stellen. Wirst du Wettkämpfe (im AK-Bereich) bestreiten?
Nein. Also nächstes Jahr nicht. Danach vielleicht. Ich weiß, dass ich dafür wieder strukturierter trainieren müsste. Ich weiß noch nicht, ob ich das will.
Lass uns noch auf deine Karriere schauen. 2013 war, mit dem Gewinn der Goldmedaille bei der WM im Mixed Relay, dein Jahr.
Das stimmt. Das lag aber nicht nur an dem Titelgewinn. Ich bin 2013 auch Sechste bei der EM geworden, wir haben die Team-EM gewonnen und beim WTS-Rennen in Madrid und Hamburg war ich Achte. Es war ein tolles Jahr, aus dem der Titelgewinn sicherlich heraussticht.
Die Zeit als Leistungssportlerin misst sich für dich aber in mehr als nur in Erfolgen und in Misserfolgen.
Ich habe so viele tolle Leute kennengelernt, das bedeutet mir unheimlich viel. Da sind viele Momente dabei, die ich nicht mehr vergessen werde.
Welcher war einer dieser unvergesslichen Momente?
Wir sind mal im Trainingslager auf Fuerteventura in einer großen Gruppe Rad gefahren, zum Teil zu zweit nebeneinander. Die Polizei hat uns angehalten und uns erklärt, es gehe nicht, dass wir zu zweit nebeneinander fahren. Resi (Theresa Baumgärtel, Anm. d. Red.) und ich haben lachen müssen. Das fanden die Polizisten nicht lustig und haben uns beinah mitgenommen.
Hat man als Sportlerin am Ende der Karriere vor allem Freund*innen aus dem Sport?
Nicht nur. Ich habe auch viele „Alltagsfreundinnen“. Viele von denen haben eine Familie und Kinder und damit einen anderen Schwerpunkt im Leben. Wir kennen uns schon aus der Schule und ich finde es toll, dass die Freundschaften noch immer existieren.
Ist es schwer, diese Freundschaften zu pflegen? Du kannst ja nicht sagen, morgen habe ich im Trainingslager auf Fuerteventura einen Tag frei, kommt doch mal vorbei.
(lacht) Wir haben eine WhatsApp-Gruppe und tauschen uns regelmäßig aus. Als Sportlerin ist man flexibel in seiner Trainings- und Tagesgestaltung. Da kann ich dann auch mal sagen, kommenden Mittwoch habe ich nachmittags Zeit – wenn ich nicht im Trainingslager bin.