„Die Leukämie-Diagnose war ein Schock“
Wenn man solch eine Diagnose bekommt, ist das natürlich erst einmal ein Schock. Man weiß nicht, wo die Reise hingeht.
Benjamin, wie geht es dir aktuell?
Rein körperlich geht es wieder. Ich merke wenig, bis auf ein paar Nebenwirkungen. Die Medikamente vertrage ich gut. Für den Kopf ist es jedoch eine Aufgabe.
Was heißt das genau?
Wenn man solch eine Diagnose bekommt, ist das natürlich erst einmal ein Schock. Man weiß nicht, wo die Reise hingeht. Die Medikamente gegen CML sind mittlerweile glücklicherweise gut. Vor 25 Jahren sind noch 80 bis 90 Prozent aller CML-Patienten innerhalb von vier bis fünf Jahren verstorben, weil ihr Immunsystem so geschwächt war, dass ihr Körper gegen eine Grippe oder ähnliches keine Widerstandskräfte mehr hatte.
Meine Erkrankung ist früh erkannt worden, ich bin im ersten von drei Stadien. Ich weiß also, dass ich gute Prognosen habe. In einer anderen Phase kann CML auch ganz anders ausgehen. So gesehen hatte ich noch einmal Glück im Unglück. Aber trotzdem ist das Leben von einem auf den anderen Tag total verändert. Damit muss man erst einmal klar kommen. Alles gerät aus den Fugen. Der Sport, der bisher mein Leben bestimmt hat, wird eine Nebensächlichkeit. Das ist für den Kopf eine große Aufgabe.
Die aktuelle Situation mit dem Coronavirus ist für dich nicht ganz ungefährlich.
Ich war eigentlich auf einem guten Weg, habe einige Tage schon wieder recht solide trainiert. Bis sich die Situation mit dem Coronavirus hier in Deutschland immer mehr zugespitzt hat. Das ist für mich eine weitere Herausforderung und hat mich nochmal ordentlich eingebremst. Als an Leukämie erkrankter Mensch zähle ich natürlich zur Risikogruppe. Das hat mir dann noch einmal den Boden unter den Füßen weggezogen.
Verbringst du die Zeit momentan komplett zu Hause?
Die Ärzte raten mir, mich auch an der frischen Luft zu bewegen, weil das für mein Immunsystem gut ist. Ich habe daher bis jetzt noch die eine oder andere Einheit im Handbike oder Rennrollstuhl draußen gemacht, allerdings ohne Kontakt zu anderen. Der Rest meines Lebens spielt sich aber komplett zu Hause ab. Einkaufen oder Termine beim Physiotherapeuten fallen weg.
Wie hart war die Diagnose CML für dich?
Das war schon eine harte Nummer. Man macht sich Gedanken, fragt sich, was man falsch gemacht hat. Die Ärzte machen einem dann zum Glück klar, dass man nichts falsch gemacht hat. Das Leben ändert sich mit solch einer Diagnose natürlich schlagartig. Das war ein absoluter Schock für meine Ehefrau Frauke und mich. Wir mussten erst einen Weg finden, damit umzugehen. Man lernt es mit der Zeit. Ich war schon einmal mit einem schweren Schicksalsschlag konfrontiert (2003 hatte er einen Verkehrsunfall und ist seitdem querschnittsgelähmt, Anm. d. Red.). Ich weiß, wie ich mit so etwas umgehen muss. Man versucht, in die Normalität zu finden, schauen, was geht? Was geht nicht?
Hattest du Angst?
Ja, Leukämie ist eine der Krebsarten, die sehr schlimm verlaufen kann. Da spielt Todesangst natürlich eine Rolle. Am Anfang denkt man sich schon: Wie viel Zeit hast du noch? Was bleibt dir noch vom Leben? Aber die Ärzte nehmen einem die Angst dann auch wieder. Viele Erkrankte müssen das Medikament zwar bis an ihr Lebensende nehmen, dadurch haben wir eine normale Lebenserwartung.
Wie gehst du mit der Erkrankung um?
Ich gehe mit der Erkrankung gut und offen um. Ich will den Leuten aufzeigen, dass es immer weiter geht.
Du musst derzeit zweimal am Tag ein Medikament einnehmen. Es soll das Philadelphia-Chromosom unterdrücken, das die Krankheit auslöst. Wie lange wirst du das Medikament nehmen müssen?
Mindestens für drei bis fünf Jahre. Nach diesem Zeitraum wird man versuchen es abzusetzen und dabei regelmäßig das Blut kontrollieren. Sollte das Chromosom wieder vermehrt auftreten, werde ich das Medikament wieder nehmen müssen.
Ich muss es zweimal am Tag einnehmen und darf zwei Stunden davor und eine Stunde danach nichts essen. Da muss man die Einnahme schon gut planen. CML ist damit nicht komplett heilbar. Das ginge nur mit einer Chemotherapie und einer Stammzellentransplantation. Diese Vorgehensweise hat aber viele Nebenwirkungen. Daher sieht man davon bei Menschen in meinem Stadium ab, da man nach aktuellen Studien mit dem Medikament ja eine normale Lebenserwartung hat.
Nach drei bis fünf Jahren kann man auch versuchen, das Medikament abzusetzen.
Das geht, wenn der Heilungsprozess gut verlaufen ist. Hierzu laufen zurzeit noch wichtige Studien.
Du hast im Trainingslager auf Lanzarote gemerkt, dass etwas mit deinem Körper nicht stimmt.
Ich habe vorher Leistungstests in allen drei Disziplinen gemacht und hatte die besten Werte erzielt, die ich jemals hatte. Ich war guten Mutes mit Blick auf das Rennen der World Paratriathlon Series in Devonport Ende Februar, einem Schlüsselwettkampf mit Blick auf die Qualifikation für die Paralympics. Im Trainingslager musste ich mich dann am dritten Abend mehrfach übergeben. Nachts habe ich sogar in der Klinik eine Infusion wegen des starken Flüssigkeitsverlustes bekommen.
Du dachtest im ersten Moment an eine Lebensmittelvergiftung.
Genau. Ich habe dann zwei, drei Tage gewartet, dachte, dann ist alles wieder gut. Aber anschließend habe ich mich bei Belastungen sehr schnell schlapp gefühlt. Nach ein paar Tagen habe ich das Trainingslager abgebrochen und bin nach Deutschland zurückgeflogen. Mein Hausarzt hat dann festgestellt, dass mit den Blutwerten etwas nicht stimmt. Von den Blutwerten her dachte man erst, es sei eine abklingende Erkrankung. Bis dann die erschütternde Diagnose in der Uniklink Köln kam, mit der niemand gerechnet hat.
Im Krankenhaus ging die Therapie dann direkt los.
Als die gemerkt haben, dass ich das Medikament gut vertrage, durfte ich zum Glück schnell nach Hause.
Wie wichtig ist der Sport als Stütze?
Der Sport ist schon wichtig. Der Sport hat mich gelehrt, auf mein Körpergefühl zu hören. Man merkt, was normal ist. Und was nicht normal ist. Dass etwas nicht gestimmt hat, habe ich erst unter Belastung gemerkt. Ein typisches Symptom von CML. Wenn ich keinen Leistungssport betrieben hätte, hätte ich vielleicht erst viel später gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Und Sport ist auch dazu da, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich habe einfach viel Spaß daran, bin gerne draußen unterwegs.
Eigentlich hattest du noch die berechtigte Hoffnung, dich für die Paralympics in diesem Jahr zu qualifizieren. Ist das jetzt nebensächlich geworden?
Es lief echt gut diesen Winter. Aber ich kann jetzt natürlich nicht in die Glaskugel schauen, ob ich mich qualifiziert hätte. Im Krankenhaus habe ich das Thema erstmal beiseite geschoben. Da ging es erst einmal nur ums Überleben. Aber man denkt sich natürlich schon, dass einem eine Chance genommen wird, auf die man lange hingearbeitet hat.
Wirst du in den Sport zurückkehren können?
Keiner kann mir derzeit sagen, ob Leistungssport mit der Einnahme von dem Medikament vereinbar ist. Die meisten Patienten, die es einnehmen, sind jenseits der 60 und damit nicht mit meiner Situation zu vergleichen. Ich will – sobald dies wieder möglich ist - eine sportmedizinische Untersuchung machen. Dann wird man sehen, was sinnvoll ist, was möglich ist, was vertretbar ist.
Wie können die Menschen dich unterstützen?
Zum einen, wenn sie sich bei der DKMS registrieren. Aktuell brauche ich zwar keine Knochenmark- oder Stammzellspende und ich hoffe, dass es auch so bleibt. Es gibt jedoch genügend Menschen, deren Leben sie retten können. Zum anderen, in dem sie mir die Daumen drücken und mich aufmuntern. Triathlon ist ja glücklicherweise eine kleine Welt. Es ist echt schön, dass man von Athleten aus aller Welt Zuspruch bekommt.