„Ich werde als Vorbild gesehen“

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Manuel Retzbach (Tricon Schwäbisch Hall) ist mit dem Fair Play Preis des Deutschen Sports ausgezeichnet worden. Der Triathlet hatte einen Wettkampf unterbrochen, um einen schwer gestürzten Konkurrenten zu helfen. Im Interview spricht der 33-Jährige über die Entscheidung anzuhalten, Hilfsbereitschaft sowie die Vorbildfunktion und erzählt wie es ist, hinter dem Besenwagen herzulaufen

Manuel, du hast beim Stutensee-Triathlon, einen Teamwettkampf, im Juli 2018 vor dir einen Sturz gesehen. Wie hast du die Situation erlebt?

Ich habe das Tempo gedrosselt und an der Unfallstelle angehalten. Es war schon ein Motorradfahrer da. Ihn habe ich instruiert, einen Notruf abzusetzen und die anderen Radfahrer auf die Unfallstelle aufmerksam zu machen. Dann habe ich versucht, den gestürzten Matthias Klumpp (ein ehemaliger Weltklasse-Triathlet, Anmerkung der Redaktion) zu beruhigen und von den Schmerzen abzulenken. Viel mehr konnte ich nicht tun. Meine Erste-Hilfe-Ausbildung liegt über 15 Jahre zurück.

Du hast 15 bis 20 Minuten an der Unfallstelle verbracht und bist anschließend wieder auf dein Rad gestiegen. Hast du überlegt, ob es überhaupt noch Sinn macht, das Rennen fortzusetzen?

Ja, natürlich. Ich habe dann aber gedacht, probiere es doch. Auch wenn ich wusste, dass es utopisch ist, noch jemanden einzuholen.

Gab es anschließend einen Moment, in dem du dir auf der Strecke gedacht hast, hätte ich doch das Rennen nicht wieder aufgenommen?

Auf der Laufstrecke war es schon sehr einsam. Das Lustige aber war: Der Besenwagen hat den Läufer vor mir begleitet, weil sie wohl gar nicht gemerkt haben, dass ich noch im Rennen bin. Irgendwann ist der Besenwagen dann umgedreht und zu mir zurückgefahren. Zum Teil haben die Streckenposten auch schon abgebaut. Das war schon irgendwie auch ein komisches Gefühl.

Bist du zuvor schon mal Letzter in einem Rennen geworden?

Nein.

Es war ein Teamwettkampf. Hatten deine Teamkollegen Verständnis für deine Entscheidung?

Ja. Sie haben mich nach dem Rennen gelobt und mich für meine gute Tat gewürdigt. Aber ganz ehrlich: Wenn mich einer dafür kritisiert hätte, hätte ich dafür auch kein Verständnis gehabt. Was mich besonders gefreut hat: Im Ziel kamen der Sohn und die Nichte von Matthias auf mich zu und haben sich bedankt. Das war ein Wow-Effekt und ein schönes Gefühl.

Andere haben an der Unfallstelle nicht angehalten. Du schon. Warum?

Ich erkläre mir das so: Es ist zum einen Erziehung. Zum anderen würde ich mir auch wünschen, dass mir jemand hilft, wenn ich in solch einer Situation bin.

Hast du selbst schon einmal eine solche Situation erlebt?

Nein, glücklicherweise nicht.

Würdest du dich als hilfsbereiten Menschen bezeichnen?

Wenn ich jemanden am Wegesrand stehen sehe, der offenbar ein Problem hat, frage ich, ob ich helfen kann. Wenn jemand Hilfe benötigt, sage ich sehr, sehr schnell ja. Das ist im Berufsleben allerdings gefährlich. Denn wenn man ein sehr gutmütiger Mensch ist, wird das gern ausgenutzt.

Siehst du dich als Vorbild?

Mittlerweile werde ich so gesehen.

Das heißt, du selbst siehst dich nicht als Vorbild?

Ja, das klingt bescheiden. Aber das bin ich auch. Für mich ist es selbstverständlich, in solch einer Situation zu helfen. Mittlerweile sagen viele Leute zu mir, ja klar, ich hätte in der Situation genauso gehandelt wie du. Aber es ist etwas ganz anderes, das zu sagen und in einer Wettkampfsituation, also wenn es wirklich um etwas geht, auch so zu handeln. Da ist es nicht unbedingt so logisch, anzuhalten und zu helfen.

Bräuchte es mehr Menschen wie dich?

Ich glaube, diese Frage sollte sich jeder selbst beantworten. Was wäre, wenn ich in einer Notlage wäre und was würde es bedeuten, wenn mir keiner helfen würde?

Du hast einige Ehrungen erhalten. Was bedeuten dir diese?

Es schlägt gewaltige Wellen. Ich finde es schön, dass diese Geschichte so aufgegriffen wird. Aber eigentlich war es ein selbstverständliches Handeln für mich.

Hat deine Hilfeleistung dein Leben irgendwie verändert?

Ja, ich sehe jetzt viel mehr die Alltagshelden.